Wo sind hessische Expertinnen für Wiederverwendung zu finden? Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus? Mit welchen Herausforderungen beschäftigen sie sich? Um diese Fragen zu beantworten lud das Re-Use-Netzwerk hessische Secondhand-Warenhäuser und Secondhand-Läden zu einem “Erfahrungsaustausch” ein. Viermal haben wir uns seitdem getroffen, um einander zu besuchen, gemeinsame Positionen zu erarbeiten und eine Best Practise zu formulieren. In unserem Blogbeitrag geben wir einen Überblick über die bisherigen Veranstaltungen.

1. Erfahrungsaustausch:  Kennenlernen online

Unser erstes Treffen sollte online stattfinden. In der bunt gemischten Runde stellte sich bald heraus: Ein gemischtes Warenhaus zu betreiben – mit Möbeln, Elektrogeräten und Haushaltswaren – braucht ganz andere Abläufe, Lagerplatz und Logistik, als ein Laden mit Spezialisierung z.B. auf Bekleidung oder Bücher. Bei einem diversen Warenangebot kommt es stark darauf an, ganz individuelle Lösungen zu finden.

Und hier wollten alle Beteiligten voneinander lernen. Welche Lagersysteme sind sinnvoll? Wie lässt sich die Ware auch auf knappem Raum attraktiv präsentieren? Welches Kassensystem hat sich bewährt? Es kristallisierte sich schnell heraus: Unser Austausch sollte fortan regelmäßig und vor Ort mit gegenseitigen Betriebsbesichtigungen stattfinden.

Eine gemeinsame Position wurde auch bald klar: “Wir stehen für Nachhaltigkeit und wollen dafür Anerkennung und Unterstützung erhalten!” Aus dieser Haltung wollen wir an die Kommunalpolitik herantreten und darum ringen, dass wir unserer Arbeit gut und ohne finanzielle Not nachgehen können. Eine nachhaltige Form des Wirtschaftens entspricht dem Zeitgeist und kann den Secondhandmarkt prominenter machen. Diese Gelegenheit wollen wir nutzen! 

 

2. Erfahrungsaustausch: Zu Gast in Marburg

Auf unserem zweiten Treffen stand dann die erste Betriebsbesichtigung an. Zu Besuch waren wir im Gebrauchtwarenkaufhaus Marburg der Praxis GmbH Gemeinnützige Beschäftigungs- und Bildungsgesellschaft. Das Warenhaus, das in einer ehemaligen Bushalle untergekommen ist, liegt citynah und erfreut sich daher hoher Besucherzahlen. In den Verkaufsräumen werden auf einer Fläche von 310m² Möbel und den restlichen 200m² Fachsortiment schön präsentiert angeboten. Das Lager umfasst weitere 500m² und ist gut organisiert.

Der Fokus in diesem zweiten Treffen lag auf Gebrauchtwarenhäusern mit einem gemischten Sortiment. Eine Herausforderung mit der die meisten dieser Warenhäuser zu tun haben kristallisierte sich bald heraus: die starke Abhängigkeit von Mitarbeitern aus Maßnahmen des Jobcenters in der Personalplanung bietet wenig langfristige Planungssicherheit.

Auch wenn ein super Betriebsklima herrscht, wie das im Marburger Gebrauchtwarenkaufhaus zu spüren ist, und ein schöner Umgang mit den Teilnehmern gepflegt wird, bereitet dies vielfältige Probleme. Vor allem Planbarkeit und Verlässlichkeit aber auch die Einarbeitung einzelner Teilnehmer, die oftmals nur für kurze Zeit im Betrieb sind, zählen zu den Schwierigkeiten, die von verschiedenen Secondhand-Betrieben bemängelt werden.

Besonders dann, wenn Aufgaben eine gewisse Einarbeitungszeit und Erfahrungswerte brauchen, wie etwa bei der Preiseinschätzung von neu eingetroffenen Waren, ist dauerhaft festangestelltes Personal eigentlich unverzichtbar.

 Auch wichtig, gerade im Bereich der Wiederverwendung von Elektrogeräten, ist eine gute Kooperation mit den Recyclinghöfen der Region. Das Marburger Gebrauchtwarenhaus hat sogar einen eigenen Standort für gebrauchte Elektronikartikel. 

Problematisch wird es dann, wenn in den regionalen Recyclinghöfen noch funktionstüchtige Waren zerlegt werden, um die Ersatzteile zu verkaufen. In solchen Fällen könnte eine engere Zusammenarbeit eine wichtige Aufgabe des Netzwerkes sein.

 

3. Erfahrungsaustausch: Besuch in Bad Hersfeld

Unser drittes Treffen führt uns nach Bad Hersfeld zu VIA Möbel & Mehr. Das Kaufhaus, das in einem ehemaligen Fabrikgelände untergekommen ist, bietet eine breite Auswahl an Möbeln, Haushaltsgeräten, Kleidung und Wohnaccesoires. Es gibt sogar eine eigene Ecke mit Kinderspielzeug. Die angebotene Kleidung wird auf Schaufensterpuppen ausgestellt die von einer ehemaligen Boutique übernommen wurden und umfasst vornehmlich Markenkleidung. Wegen des großen Spendenaufkommens der letzten Monate besteht derzeit sogar eine Annahmestop für weitere Textilspenden.

Das Spendenaufkommen hatte sich in den letzten Monaten auch deswegen deutlich erhöht, weil das Team der VIA den Lockdown für einen umfassenden Umbau genutzt hat. Dabei entstand im Laden eine Empore, auf der die Textilabteilung neu eingerichtet wurde. Auf dem gewonnen Platz wurde eine kleines Café eingerichtet. Um im neuen Café auch Gäste zu Zeiten der Pandemie bewirten zu können, wurde auch eine Außenterrasse angelegt. Durch die benachbarte Covid-Teststation wurden zahlreiche Menschen neu auf das Kaufhaus aufmerksam und so hat sich auch Spendenaufkommen erhöht.

berhalb der Verkaufsräume, unter dem Dach des schönen Backsteinbaus, befinden sich die hauseigenen Werkstätten, in denen junge Menschen, betreut durch Fachanleiter und Sozialpädagogen, ihre Ausbildung machen. Dort werden Elektrogroßgeräte, wie Waschmaschinen oder Herde repariert. Auch hier werden vor allem Markengeräte für ihre neuen Besitzer in Schuss gebracht, weil sich die Lagerung von Ersatzteilen nur für diese Produkte lohnt.

Neben der Elektroniksparte kann hier auch eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau sowie in der Holztechnik absolviert werden. In der gut ausgestatteten Schreinerwerkstatt werden nicht nur alte Möbel wieder aufbereitet, sondern auch eigene Stücke angefertigt. Darüber hinaus führt das Möbelteam auch Haushaltsauflösungen durch und leistet unter dem Namen “Helfende Hand” gerne bei Bedarf Transporthilfe bei Umzügen. 

4. Erfahrungsaustausch: Eingeladen in Frankfurt

Der vierte und bislang letzte Erfahrungsaustausch der Secondhand Warenhäuser bringt uns nach Frankfurt zum Kaufhaus Neufundland. Für die Organisator:innen des Netzwerkes ist das gewissermaßen ein Heimspiel, denn Neufundland gehört zur GWR gGmbH, bei der auch das Projekt zum Aufbau des Netzwerkes angesiedelt ist. Außer dem Warenhaus gehören auch ein Recyclingzentrum und der Bereich Arbeitsmarktdienstleistungen zu dem gemeinnützigen Unternehmen. Wer mehr erfahren möchte, sei an das Portrait über die GWR verwiesen.

Wir sammeln uns bei der hauseigenen Nähwerkstatt, die sich in den Verkaufsräumen befindet. Hier werden solche Kleidungsstücke und Stoffe weiterverarbeitet, die sich für den Verkauf nicht eignen. Ein echter Renner sind auch die upgecycleten Handtaschen, Flaschentaschen und andere Accessoires. Die anschließende obligatorische Begehung führt uns durch zwei große Verkaufshallen und das gut sortierte Lager, wo zu diesem Zeitpunkt gerade unter Hochdruck die Weihnachtsdekoration sortiert und für den Verkauf vorbereitet wird.

Anschließend gehen wir 200 Meter die Straße runter in das Verwaltungsgebäude. Nach einer zweiten Führung durch das Recyclingzentrum und einem Mitagssnack ist Claudio Vendramin von Re-Use Deutschland zu Gast. Er berichtet von seinen Bemühungen um den Aufbau einer deutschlandweiten Dachmarke für Gebrauchtwarenkaufhäuser, eines der Themen, die in den bisherigen Austauschen einen zentralen Stellenwert hatten. 

Wie geht es weiter?

Auch in 2022 werden die Secondhand Warenhäuser sich zum weiteren Erfahrungsaustausch treffen. Darüber hinaus plant das Netzwerk ein dreiteilige Workshopreihe, in der neben den Secondhand Warenhäusern auch öffentlichrechtliche Ensorger, Reparateure, Umsonstläden und weiter Akteure der Wiederverwendung zusammenkommen werden, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, damit wir in großen Schritten auf die Entwicklung einer hessischen Kreislaufwirtschaft zugehen können.

Die aktuellen Termine des Netzwerkes und zahlreiche weitere Veranstaltungen rund um das Thema Wiederverwendung finden sich stets aktuell in unserem Kalender. Wer über die inhaltlichen Entwicklungen des Netzwerkes auf dem Laufenden bleiben möchte, dem sei unser Newsletter empfohlen, der quartalsmäßig erscheint. Lust mitzumachen? Dann wende dich direkt an das Projektteam hinter dem Re-Use Netzwerk Hessen: ReUse-hessen@gwr-frankfurt.de.

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